Des Zylinders Wunderwelt

Bevor lezter Respekt
als alter Hut 
im Unrat 
polierter Egos zerfällt,
will ich lernen zu zaubern.
Wenn ich’s geschafft,
zieh ich, 
was abgelegt in alter Zeit,
aus des Zylinders Wunderwelt hervor. 
Dann tritt zutage,
was jedem nur scheinbar vertraut.
Nichts als das Ich, 
deins und deins und meins.
Als Zauberer lass ich es fliegen,
so elegant wie wir es nie gesehn,
bis Achtung unsere Sinne erhebt,
meine Achtung vor mir und dir und dir.
So von uns begriffen und geliebt
werden wir Drillinge gebären,
die Empathie, die Höflichkeit 
und den Respekt.
Mit ihnen ist die Welt zu retten,
bevor sie in der Bugwelle 
faulen Zaubers untergeht.

Was nachts geschah

In kalter Nacht, 
wenn alles schläft, 
wird er hellwach. 
Zu frostiger Stunde 
macht sich der Winter auf, 
die Welt zu beschenken. 
Aus finstrer Nacht holt er hervor,
was der Tag 
mit seinem Licht kaschiert.
Der Winter nimmt’s,
und sei es noch so klein,
verehrend und liebend
in frostglühende Hände, 
umschmiegt das Haar, 
ummantelt’s 
mit kristallnem Schmuck
und zeigt dem Morgen,
was liebend nachts geschah.

Sprachlos

Januar-Kolumne in OM-Medien

Noch nie habe ich so oft an ihn gedacht, wie in dieser pandemischen Zeit: an meinen alten Kollegen Ewald. Zu ihm habe ich einst aufgeschaut. Und das nicht nur wegen seines Wissens und seines Talents, mit dem er sich als Journalist unter die Haut seiner Leserschaft schrieb. Sein Blick aufs Leben faszinierte mich. Insbesondere der auf sein ganz eigenes und angeschlagenes. Der Parkinson hatte ihn mehrmals täglich komplett im Griff. In solchen Phasen zitterten seine Arme nicht nur, sie ruckten ins Leere, als würden unsichtbare Hände an ihnen reißen. Da auch Brustkorb und Kopf  wie mitgerissen agierten, geriet seine Aussprache völlig aus der Kontrolle. Oft konnte ich ihn nicht verstehen. Alle paar Wochen fuhr er in die Uniklinik Bochum. Gern stellte er sich seinem Professor als Versuchskaninchen zur Verfügung. Wenn es ihm persönlich auch nicht helfen würde, so seine Meinung, helfe es womöglich dem forschenden Arzt und dessen Studenten. Und vielleicht gebe es ja doch noch eine Linderung. Von dieser Hoffnung ließ er nie los. Wenn ich ihn fragte, wie es war, in der Klinik, sagte er: „Gut.“ „Inwiefern?“, wollte ich wissen. „Tja, wenn ich da so manch jüngere Patienten sehe, kapiere ich, dass ich keinen Grund zum Klagen habe.“ 

Diese Haltung machte mich sprachlos. Immer wieder. Manchmal hatte ich aber auch einen anderen Grund, nichts zu sagen. Das war in meiner journalistischen Anfangsphase. Wenn ich wieder mal glaubte, den Beruf verfehlt zu haben, brütete ich hinter verschlossener Tür überm weißen Manuskriptpapier. Ewald ließ mich nicht brüten. Er kam einfach rein, setzte sich neben mich und zwang mich mit durchschauendem Lächeln, die Zähne auseinanderzukriegen. Ich verriet ihm, was los war, mir blieb nichts anderes übrig. Er sagte dann nicht viel. Nur dies: „Ich sehe das ganz anders.“ Und damit gab er mir Hoffnung selbst in seinen zuckendsten Elendsphasen.

Noch einer, der in beeindruckender Weise die Hoffnung nie aufgab, war Stephen Hawking. Heute, am 8. Januar, wäre er 80 Jahre alt geworden. Mit 21 Jahren erfuhr er, dass er an einer unheilbaren Nervenkrankheit litt. Die Ärzte gaben ihm nur wenige Jahre Lebenszeit. Doch er wurde 76 Jahre alt und starb als einer der bedeutendsten Wissenschaftler aller Zeiten, der nie von seinen mathematischen und physikalischen Studien abließ. Er war davon überzeugt, dass man erst verloren ist, wenn man sich selbst aufgibt und sagte: „Wo Leben ist, ist Hoffnung, und wo Hoffnung ist, kann neues Leben entstehen.“

Beide, Stephen Hawking und auch mein Kollege, kannten dunkelste Phasen. Mit dem Wissenschaftler habe ich mich nie unterhalten, mit meinem Kollegen umso mehr. Manchmal frage ich mich, wie er zu so manch dunklen pandemischen Momenten stehen würde. Fragen kann ich ihn nicht, denn auch er ist vor ein paar Jahren gestorben, aber ich kann mir vorstellen, dass er sagen würde: In solch finsteren Phasen stecken Möglichkeiten, die es unter strahlendem Himmel gar nicht zu geben scheint. Und ich habe schon manchmal den Eindruck gehabt, dass solche Dunkelheit nur eine andere Art Licht ist. Eine, die uns gefehlt hat.

Bis kälteste Gedanken in mir tauen

Fühl manchmal mich 
wie schockgefrorn, 
wenn Worte eisig 
in mich stechen. 
Suche im Gesicht, 
das sie gebar,
den Menschen, 
den ich glaubt zu kennen, 
doch finde seine Fratze nur.
Schockgefrorn kann nur noch 
Rache in mir fließen,
bis kälteste Gedanken 
in mir taun.
Sehe sie 
im Schmelzwasser verrinnen
und erkenne 
im Spiegel seiner Wellen den, 
der gleichsam kalt sich zeigt,
dann, 
wenn er’s nicht wagt,
die Wärme, die er hat, 
zu geben.