Sehnsucht

Ein Bild des britischen Regisseurs Isaac Julien. Gefunden im Bremer Museum Weserburg.

Manchmal, 
wenn sie ganz nah mir ist, 
glaube ich, sie zu hassen.
Kehrt sie dann endlich mir 
den Rücken zu,
entweichend in die Straßen
meiner fernsten Ziele,
fange ich an, sie zu ersehnen
und kann schon schmecken
der Sehnsucht bittersüßen Namen.

Ich frage mich, 
was ich an ihr so mag,
ist doch Erfüllung nur
der Schluss gelackter Utopie.
Wahrscheinlich ist’s der Sehnsucht Geist, 
der leis dem tiefsten Wollen sagt,
dass die Erfüllung 
meiner größten Wünsche
mich niemals macht
so glücklich wie gedacht.

So gleite ich, 
die Sehnsucht liebend,
mit der Ebbe schmerzlichen Vermissens 
ins tiefe Meer des Wollens.
Fest halte ich der Sehnsucht Hand,
spüre Glück mit ihr an meiner Seite, 
schenkt sie doch meinem Leben Ziel.
Und bleibt mein größtes auch 
für immer unerreicht,
so seh ich mit der Sehnsucht neben mir 
doch stetig Land.
Denn wäre sie nicht da,
wär es mein Untergang.
*
Dieses Foto ist das Foto von einem Foto. Das Original hat der britische Regisseur Isaac Julien gemacht hat. Ich habe es im Bremer Museum Weserburg fotografiert. Dazu schreibt das Museum: „Die Kälte des Tagungsraumes, seine strenge Fensterfront im kühlen Schwarz-Weiss vermitteln den Eindruck arrangierter Künstlichkeit. Auch die Hausangestellte wirkt wie ein Teil der sterilen Einrichtung. Aber ihre Haltung erinnert an romantische Rückenfiguren mit ihrem sehnsuchtsvollen Fernblick. Ihr Blick jedoch verliert sich in einer Vielzahl unpersönlicher Hochhäuser. Das Foto ist eine eigenständige Bilderzählung, obwohl es als Teil einer mehrteiligen Fotoserie im Zusammenhang mit Juliens Filminstallation Playtime (2014) entstand.“

Waldgestalten

Hab so oft schon mich gefragt,
warum ich euch so mag,
euch Waldgestalten.
Ist’s der Kiefern wilder Wuchs,
der still mir meine Starrheit zeigt,
bis Wildheit endlich auch in mir
gedeihen kann?
Ist es das kathedrale Dach der Buchen,
das meinen Blick zum Himmel lenkt
und meiner Schwere Flügel schenkt?
Oder ist’s des Farns Genügsamkeit, 
die stumm mich lehrt,
dass Leben auch auf Schattenseiten
palmengleich mit Schönheit prassen kann?

Gewiss, das alles ist‘s.
Doch im Tiefsten mich erhellt,
wenn all ihr Kiefern, Buchen, Farne euch,
vom Wind bewegt,
zum Tanz der Wälder schwingt.
So verschieden ihr auch seid,
ist Harmonie doch euer einzig Ziel,
wenn nach des Himmels Dirigat 
ihr euren Leib mal neigt, 
mal hebt, 
und der Welt vor Augen führt, 
wie Einklang geht.

Geheimnisvolle Hülle

Kann’s sein,
dass ich zu wenig Beachtung
dir geschenkt?
Mir schwant,
dass viel mehr du bist
als schnöde Verpackung.
Schau ich genau dich an,
entdeck ich das Wort.
Es ist dir so ähnlich,
muss deine Schwester sein.

Das Wort 
ist talentiert wie du,
verhüllt Wahrheit wie Lüge,
Bewunderung wie Hass.
Immer ist das Wort für mich da,
kommt mit Schulterklappen daher,
kreuzt im Talar bei mir auf,
und bietet selbst 
im weihräuchernden Habit
mir seine 
verpackenden Dienste an.

Mal verhüll ich eigne Niederlagen
mit ballernden Wortkanonaden,
mal wickelt das Wort mich ein,
und manchmal, 
verwickelt’s mich in Gedanken, 
die ich nie gedacht, 
in denen ich mich suche
und niemals find. 

Und manchmal schafft’s das Wort, 
Händen gleich,
mich anzuziehen. 
Wenn das geschieht, 
zieht’s bald mich auch aus, 
und entdeck ich 
meine Blöße dann, 
seh ich in ihr 
mein schönstes Gewand.

Überleg ich es recht, 
so liebe ich dich, 
geheimnisvolle Hülle. 
Egal, wie du bist,
ob edel glänzend 
oder grau wie Packpapier, 
du bist die Haut,
die meiner Hoffnung 
Formen gibt.

Spiegel meines Glücks

Will nicht
drauf aus sein, 
mein Bild 
im Spiegel zu taxiern. 
Will meiner gewiss sein 
wie Bäume, 
die, vom Licht gemalt, 
im See sich sehn 
und doch ihr Bild 
nie achten. 
Rank und himmeltanzend, 
krumm und sturmzerzaust 
stehen sie da, 
als ob sie auf mich warten, 
wie Wesen, die wissen, 
dass gut sie mir tun, 
so wie sie sind. 
Schau ich beschenkt 
sie an, 
brauch ich den Spiegel 
nicht mehr, 
der mir nur zeigen kann,
wie ich mich seh. 
So lass ich zufrieden 
mich sein wie ich bin 
und finde, 
wenn ich dich seh, 
in deinem Blick 
den Spiegel 
meines Glücks. 

Der Felsen, der du für mich bist

Denk ich an dich,
seh ich den Felsen,
der du für mich bist.
Seh die Brandung,
die nie dich verletzt,
sehe Fregatten, 
die achtungsvoll
dich umschiffen
auf ihrer Fahrt
zum sicheren Hafen, 
wo neben Kanus ruhend
nun sie zu Felsen werden.
Einem wie dir 
kann ich nichts sein,
will dennoch wissen,
wer du bist.
Mache mich auf,
in luftiger Höhe 
dir in die Augen zu schaun,
in deinem Blick 
zu erheischen,
wer ich für dich bin.
Und mache ich Rast
in finstrer Höhle deines Leibs,
finde ich 
in deiner Tiefe tastend
mich.
Dir mein Achten 
und Atmen schenkend.

Im winterlichen Festgewand

Wie sehr du dich 
verändert hast,
mein Winterfarn,
du, den das Licht 
verlassen.
Schau suchend dich an, 
doch mein Ideal, 
das einst ich in dir sah,
finde ich nicht
und frage mich,
ob du noch sein kannst,
was so lange 
du mir warst. 
Vom Sommer verlassen,
du und ich,
erschrickt mich 
mein frostig suchendes Sein.
Vereiste Augen 
tasten frierend dich ab,
erspüren sie wieder,
die vertraute Gestalt,
die so oft schon 
mich tauen ließ.
Nun find ich 
im Schmelzwasser 
meines Blicks 
dich wieder, 
dich, mein Ideal,
im winterlichen 
Festgewand.

Des Zylinders Wunderwelt

Bevor lezter Respekt
als alter Hut 
im Unrat 
polierter Egos zerfällt,
will ich lernen zu zaubern.
Wenn ich’s geschafft,
zieh ich, 
was abgelegt in alter Zeit,
aus des Zylinders Wunderwelt hervor. 
Dann tritt zutage,
was jedem nur scheinbar vertraut.
Nichts als das Ich, 
deins und deins und meins.
Als Zauberer lass ich es fliegen,
so elegant wie wir es nie gesehn,
bis Achtung unsere Sinne erhebt,
meine Achtung vor mir und dir und dir.
So von uns begriffen und geliebt
werden wir Drillinge gebären,
die Empathie, die Höflichkeit 
und den Respekt.
Mit ihnen ist die Welt zu retten,
bevor sie in der Bugwelle 
faulen Zaubers untergeht.

Was nachts geschah

In kalter Nacht, 
wenn alles schläft, 
wird er hellwach. 
Zu frostiger Stunde 
macht sich der Winter auf, 
die Welt zu beschenken. 
Aus finstrer Nacht holt er hervor,
was der Tag 
mit seinem Licht kaschiert.
Der Winter nimmt’s,
und sei es noch so klein,
verehrend und liebend
in frostglühende Hände, 
umschmiegt das Haar, 
ummantelt’s 
mit kristallnem Schmuck
und zeigt dem Morgen,
was liebend nachts geschah.

Bis kälteste Gedanken in mir tauen

Fühl manchmal mich 
wie schockgefrorn, 
wenn Worte eisig 
in mich stechen. 
Suche im Gesicht, 
das sie gebar,
den Menschen, 
den ich glaubt zu kennen, 
doch finde seine Fratze nur.
Schockgefrorn kann nur noch 
Rache in mir fließen,
bis kälteste Gedanken 
in mir taun.
Sehe sie 
im Schmelzwasser verrinnen
und erkenne 
im Spiegel seiner Wellen den, 
der gleichsam kalt sich zeigt,
dann, 
wenn er’s nicht wagt,
die Wärme, die er hat, 
zu geben.

Das Jahr geht müde schlafen

Nun ist’s soweit,
das Jahr geht müde schlafen, 
nimmt unerfüllte Träume 
in finstre Nächte mit, 
damit sie 
vom weihnachtlichen Licht geweckt 
als Hoffnungsstern erstrahlen, 
der durchs neue Jahr 
dich lenkt.