Reif

„Blöder Baum“, sagte der Apfel.
„Wieso blöder Baum? Was haste denn gegen den?“, fragte der andere.
„Ich fühl mich total fallengelassen.“
„Versteh ich nicht.“
„Was gibt’s denn da zu verstehen?! Monatelang macht er einen auf anhänglich. So, dass man an die große Liebe glaubt. Und dann war’s das.“
„Nix da, der hat uns noch viel lieber als du glaubst.“
„Ha, ha, ha! Und warum lässt er uns dann einfach los?“
„Weil er akzeptiert, dass wir reif sind und ihn nicht mehr brauchen.“ ?

Diese Offenheit

„Steht dir richtig gut“, sagte der Baum.
„Was?“, fragte das Fenster. 
„Deine Offenheit.“
„Was findste denn daran so schön?“
„Dass ich endlich mal nicht nur dein Äußeres sehe.“
„Magste mein Äußeres denn nicht?“
„Doch, durchaus, aber was ich jetzt entdecke, ist was ganz Besonderes.“
„Was denn?“
„Die Schönheit, die in dir ist.“

Dann wirst du duften

„Na, du altes Haus, zeigst dich ja wieder mal verführerisch offen. Haste keine Angst, dass jeder in dein Inneres schaut?“
„Eigentlich nicht“, sagte das Haus zur Rose. „Aber sag mal, wie geht es dir denn heute, an diesem sonnigen Tag an meiner warmen Wand?“
„Ging schon mal besser“, sagte die Rose.
„Wieso?“
„Ach, alle latschen nur an mir vorbei und keiner schaut mich an.“
„Das lässt sich ändern“, sagte das Haus.
„Und wie?“
„Hör einfach auf, dicht zu machen. Öffne deine zarten Knospen und zeig etwas mehr von deiner inneren Schönheit.“
„Und dann?“
„Dann wirst du duften und der Welt die Augen öffnen.“ 

Kein Luftschloss

Manchmal frage ich mich, warum es mich mehr reizt, ein solches Haus zu fotografieren, als eine prächtige Immobilie. Vielleicht liegt es daran, dass ich in manchem Palast kein Zuhause, sondern nur ein Luftschloss erkenne, das jemand am Holzweg gebaut hat. ?

Ihnen fehlt nur eines

Diesen beiden scheint ja nichts mehr zu fehlen. Bis auf jene Entfernung, die einem Flügel verschafft, um einander zu erreichen. ?

Gedanken an die Luft befördern

Vielleicht sollte ich die Gedanken, die ich in Schubladen gelegt habe, einfach mal an die Luft befördern. Zum Beispiel ans Meer. Dann wäre mein Horizont deutlich weiter. ?

Hätten wir dieses Haus nicht betreten …

Dieses Haus habe ich mitten in den weiten Feldern der Wesermarsch gefunden. Wenn ich es mir ansehe, denke ich:

Auch ein Buch ist wie ein Haus.
Jedes hat seinen eigenen Duft.
Lesend betreten wir es,
erschließen uns Zimmer für Zimmer,
nisten uns darin ein,
leben mit seinen Bewohnern,
denken uns in sie hinein,
arrangieren uns mit ihnen,
ziehen uns zurück,
atmen den Duft häuslicher Geschichte,
öffnen irgendwann die Fenster,
blicken hinaus und sehen die Welt.
Hätten wir dieses Haus nicht betreten,
sähe sie anders aus, unsere Welt.

Des Jahres Nachtgewand

Mit weißem Himmelsstaub
bedeckt der Winter
Bäume, Felder, Dächer,
reicht dem Jahr
das Nachtgewand,
will uns führen
zur Traumesstille,
aus der wir
hellwach blicken auf das,
was kommen mag.

© Andreas Klaene