Dich noch zu sehen

Hatte nicht mehr daran geglaubt,
dich noch zu sehen,
nicht an diesem Abend.
Hatte nur darauf gehofft, ganz leis,
kaum lauter als schläfriger Abendwind,
der die Halme streift.
Wie aus Waldes Zauberhand entsprungen
bist du nun aufgetaucht, sichtbar geworden,
nur weil du mich nicht siehst. 
Ich betrachte dich mit starren Lidern,
will dich nicht vertreiben 
aus menschenferner Blätterwelt,
erkenne in dir das Wesen, 
das nicht an gestern und an morgen denkt, 
das den Augenblick
liebevoll mit Aufmerksamkeit beschenkt,
und ich begreife, 
dass im Beobachten das Achten wohnt.

Sie liebkosen

Weiß nicht, 
ob ich jemals dich gehabt. 
Bin nicht einmal mir sicher,
ob ich weiß, wer du bist. 
Deine Schwester, das Glück, 
ist mir vertrauter.
Sie ist ein seltsamer Vogel, 
kommt wie der Kuckuck 
mit lautem Ruf daher,
legt ihr Ei ins fremde Nest, 
doch kann ich nicht halten,
was daraus schlüpft. 
Es fliegt davon. 

Wie oft schon
lief ich dir hinterher,
dir, meinem Glück. 
All mein Sehnen 
klebte an dir 
wie einst die Augen Suchender
am Stern von Bethlehem. 
Schluss mit der Suche 
nach dem Glück. 
Will nicht mehr laufen 
stets hinterher. 

Will da sein, wo ich bin,
leis warten 
auf des Glückes Schwester. 
Zufriedenheit soll sie heißen, 
weder laut noch flatterhaft sein. 
Man sagt, 
sie brauche nicht viel 
für ihr Glück. 
Nur ein Zuhause. 
Ich will es ihr geben, 
tief in mir. Und sie liebkosen. 
Bis Zufriedenheit 
in mir wohnen mag
und mich zum Frieden lenkt. 

Mit fremden Augen

Manchmal, 
wenn ich die Welt nicht versteh, 
wenn Andersartigkeit mich erschrickt,
könnt ich versuchen, 
durch fremde Augen auf sie zu sehn. 
Dann wäre mein Sehen 
nicht mehr gefangen 
in der Zelle eigener Norm.
Es flöge hinaus, 
schwebend über Gedankengrenzen, 
könnte sehen, was ich nie sah, 
und würde Begeisterung in mir säen, 
wo Argwohn wuchernd wächst.
Bald würd ich entdecken, 
wie aus Begeisterung Aufgeschlossenheit keimt.
Dankbar werd ich sie ernten
und im Anderssein Buntheit sehn,
die meinem Tun neue Farben gibt. 
So könnt ich mich verlieben. 
In dich und dich und mich. 
Denn zusammen wären wir das Blütenfeld, 
aus dem die Welt ihren Nektar zieht. 

Wer staunend schaut

Will nie mein Lächeln 
im Requiem des Alltags 
bestattet sehen. 
Will lernen, 
zu schaun auf die Welt 
wie ein Kind. 
Will mich nicht fürchten, 
zu staunen, 
möcht mich ergreifen lassen 
und begreifen, 
dass nur 
wer staunend schaut, 
sieht, was für Augen 
unsichtbar ist. 

Staunend will ich 
schaun auf die Welt, 
auf alles um mich herum, 
bis all meine Sinne 
die feinsten Register ziehn
und meine Ohren im Pianissimo 
des Lebens Liebesgesang hörn.

Wenn alles Licht sich verdrückt

Wenn alles Licht sich verdrückt, 
möcht ich lernen, 
wie Moos im Schatten zu gedeihn. 
Möcht in eigner Winzigkeit 
Wälderweiten finden, 
in denen sinnloses Suchen 
furchtlos sich verläuft. 
Vielleicht würdest dann du 
gern die Ameise sein, 
die in mir ihr Fleißgewand verliert 
und mit mir zusammen findet, 
was uns erdet.