Wenn alles Licht sich verdrückt,
möcht ich lernen,
wie Moos im Schatten zu gedeihn.
Möcht in eigner Winzigkeit
Wälderweiten finden,
in denen sinnloses Suchen
furchtlos sich verläuft.
Vielleicht würdest dann du
gern die Ameise sein,
die in mir ihr Fleißgewand verliert
und mit mir zusammen findet,
was uns erdet.
Vom Sommerkleid befreit
Alles still,
wie lahmgelegt,
und doch von Stillstand keine Spur.
Silbergrau gewandet
feiern Zweige, Äste, Halme
winterfestlich leis das Innehalten.
Vom Sommerkleid befreit, sind sie bereit,
des Frostes weißes Raugewand zu tragen.
Beim Walzer klirrend kalter Zeit sich wiegend,
erspüren sie im Miteinander
der Sonne Weg vom Ich zum Du.
Des Winters goldner Atem
Des Winters goldner Atem
haucht der Erde Stille ein,
durchschleicht die Landschaft,
küsst in leisem Tanz
frostmüde Zweige wach,
bereitet der Natur die Bühne,
die unsre Herzen sehen lässt,
was Leben ist.
Nachtgewand
Mit weißem Himmelsstaub
bedeckt der Winter
Bäume, Felder, Dächer,
reicht dem Jahr
das Nachtgewand,
will uns führen
zur Traumesstille,
aus der wir
hellwach blicken auf das,
was kommen mag.
Will dich nicht durchschaun
Will dich nur ansehen,
nie durchschaun.
Möchte nicht auf
verborgene Wahrheiten blicken,
die dir selbst nicht vertraut
und mir die Diebe
meiner Achtung sind.
Schaue
mit geschlossenen Augen
in mich hinein,
bis Fantasie meine Seele weckt
und mir von dir zeigt,
was unsichtbar ist.
Der du am Boden liegst
Dich so zu sehen!
Meine Augen
wollen zu dir empor,
verlangen nach deiner Größe,
die einst mich Ehrfurcht gelehrt.
Im Schatten deiner Krone
dich ermessend
brachtest du mir Demut bei.
Jetzt liegst du da,
vom Tod zerfetzt,
vom Leben zerfressen.
Erzählst mir stumm
von der Erde,
aus der du nicht mehr saugst,
was Jahrhunderte dich genährt.
Tot erfüllst du sie mit Leben,
diese Erde, bis sie Kreaturen
wie dich gebiert.
So schaue ich auf zu dir,
der du am Boden liegst,
vergesse alle Sorgen
ums Überleben
ein Waldrauschen lang
und übe mich
im schönsten Erleben.
Verwurzelt glücklich
„Oben rum biste ja echt `n Hingucker“, sagte der Baum zu seinem Nachbarn, „aber unten …“
„Hey, haste etwa was gegen meine Wurzeln?“
„Nö, nicht wirklich. Man braucht die ja. Ach, Mensch müsste man sein, dann käme man ohne klar.“
„Aber wenn so `n Mensch welche hat, ist er besser drauf“, sagte der Baum.
„Haste schon mal einen mit Wurzeln gesehen?“
„Ja, meistens gleich mehrere zusammen. Mindestens zwei.“
„Was waren das denn für Exemplare?“
„Alles welche, die sich richtig mochten.“
„Wie haste das denn gesehen?“
„Weil die sich gut taten. Die sahen so glücklich aus.“
„Und wie haben die das hingekriegt?“
„Durch ihre Wurzeln. Aber nicht solche wie unsere.“
„He?“
„Ja, unsichtbare, die sich verbinden.“
„Das wünsche ich mir auch. Mit dir. Aber wie soll das gehen?“
„Indem ich dir Gutes wünsche. So wie du mir. Dann können unsere Wünsche wie Äste im Himmel zusammenwachsen.“ ?
Er war so umwerfend
„Entschuldige, aber dieser Wind war einfach umwerfend“, sagte die Birke.
„Ach so“, sagte der Weg, „und ich hab schon gedacht …“
„Was haste gedacht?“
„Ach nix“, sagte der Weg.
„Wie, nix?“
„Was soll ich schon gedacht haben?! Dass du meine Nähe suchst. Und dass du wirklich so stark bist wie du aussiehst.“
„Und wieso zweifelst du plötzlich daran?“
„Wenn du’s wärst, dann wärste bei mir doch schon ganz von allein umgefallen. Auch ohne Wind.“ ?
Der Schräge
„Glaubst du wirklich, dass du hier hingehörst“, fragte einer der Aufrechten den Schrägen. „Glaub schon“, sagte der Schräge. „Wieso?“
„Schau dich doch mal um, hier steht man gerade.“
„Hab ich schon gesehen. Aber einfach nach oben ist halt der schnellste Weg zum Licht.“
„Nicht nur das“, sagte der Aufrechte, „man macht auch ’ne bessere Figur.“
„Ach so“, sagte der Schräge, „ich dachte schon eure Haltung wär ’n Strammstehen vor der Sonne.“
„Strammstehen? Wir sind halt integriert. Was man von dir nicht gerade sagen kann.“
„Macht doch nichts“, sagte der Schräge. „Integration ist ’ne prima Sache, klingt aber so vornehm, dass ich manchmal misstrauisch werde.“
„Warum?“
„Weil dahinter ’ne Anpassung steckt, die ich lieber Unterwerfung nennen würde. Nicht immer. Aber ab und zu. Und ziemlich oft.“ ?
„Da fall ich lieber vorher tot um“
„Siehst ganz schön alt aus“, sagte der junge Baum zum alten.
„Bin ich ja auch.“
„Und wie hältste das aus? Also ich will nicht so enden. Da fall ich lieber vorher tot um.“
„Hab doch nichts auszuhalten“, sagte der Alte, „jedenfalls nichts Schlimmes.“
„Und was ist mit der Einsamkeit? Hier ist doch nichts los.“
„Das war ja nicht immer so. Früher waren wir viele. Sehr viele.“
„Das mein ich doch. Heute ist kaum noch einer da, nur die Einsamkeit.“
„Und die Ruhe“, sagte der Alte. „Seit die da ist, komme ich zu mir selbst.“
„Aha. Und wenn dich mal was runterzieht, hilft dir keiner wieder hoch.“
„Stimmt, aber die Ratschläge anderer führen mich nicht zu mir selbst.“
„Das ist mir zu hoch“, sagte der junge Baum.
„Alle, die mir früher halfen, hatten gute Absichten, denn sie hatten mich gern. Aber auch sie waren nicht glücklich. Sie rieten mir zu dem, was sie gelernt hatten. Zu anderem konnten sie mir nicht raten.“
„Immerhin“, sagte der junge Baum.
„Zu viele gaben mir ihre Lebensauffassung mit, durch die sie selbst nicht glücklich wurden.“
„Aber wie soll es anders gehen?“
„Indem man diese Kette bricht. Aber tut man es, fühlen sich deine Ratgeber nicht geachtet, denn du lehnst es ab, ihr Leben zu führen.“
„Anders geht es doch gar nicht.“
„Doch, indem man sich seiner selbst bewusst wird. Und das gelingt nur in der Stille.“
„Und dann?“
„Dann macht man die größte aller Erfahrungen: die der eigenen Einmaligkeit.“