Der Tag hat mich geschafft. Und dann das.

23.38 Uhr. Der Tag hat mich geschafft. Dennoch steht mir noch was bevor: Zähne putzen. Ich nehme die Bürste, die elektrische, in die Rechte. Mit der Linken packe ich mir die Tube, drücke das cremige Zeug auf meine Beißer, denn wenn ich es auf die rotierende Bürste drücken würde, würde mir der Kram ja um die Ohren fliegen. Dann den gewohnten Druck auf den On-Schalter, und es passiert: Ein dickes, schwarzes Etwas wird durch die wild sich drehende Bürste ins Becken geschleudert. Nun liegt es da auf dem glänzenden Weiß, das noch weißer ist, als meine Milchzähne einst waren. Es liegt dort eine Schnappatmung lang. Pechschwarz auf Weiß. Dann kriegt es Beine. Es klappt sie einfach aus und macht sich davon. Ich identifiziere das schwarze Etwas schlaftrunken als Spinne. Als Spinne kapitaler Bauart. Auch ich mache mich davon. Ziemlich flott. Ohne ein „gute Nacht“.

Bevor es zu spät ist

„Ich muss mal“, sagte sie.
„Muss das jetzt sein?“
„Ja.“
„Dann müssen wir hier links ab.“
„Ne, lass uns woanders verschwinden.“
„Wieso?“
„Weil es links nur Einsamkeit zu zweit gibt.“
„Geht bestimmt auch anders.“
„Wie denn?“
„Wir müssen uns nur trennen, ehe es zu spät ist.“ ?

Null Respekt

„Vor dir hab ich Respekt“, sagte die Kuh.
„Schön wär’s“, sagte der Stacheldraht.
„Glaubste mir nicht?“
„Ne, denn du hast keinen Respekt vor mir. Dann könntest du mich als deine Grenze achten. Vielleicht sogar richtig mögen. Tuste aber nicht.“
„Sondern?“
„Du hast Angst. So wie alle.“
„Nicht alle. Die Menschen nicht“, sagte die Kuh.
„Die können sogar Grenzen verschwinden lassen.“
„Warum sollten sie das tun?“
„Weil sie sich dann menschlicher fühlen.“ ?

Habe sie nur geweckt

„Na, woran denkst du?“, fragte die Zuckerwatte.
„Daran, dass ich mich freue.“
„Magst du mich etwa so gern?“
„Ja, so gern, dass ich mich frage, ob du die Freude bist.“
„Ich? Nein, ich bin nur deine Zuckerwatte.“
„Aber woher kommt denn die Freude?“
„Aus dir. Dort ist sie immer.“
„Das kann nicht sein. Bevor ich dich hatte, war sie nicht da.“
„Doch, sie schlief. Ich habe sie nur geweckt.“ ?

Gestern mit dir im Schrank

„Ich fühle mich so leer“, sagte die Tasse.
„Biste ja auch“, sagte die andere.
„Du aber doch auch. Nur scheint dir das gar nichts auszumachen.“
„Stimmt, faktisch bin ich leer, aber ich fühle mich nicht so.“
„Wieso denn nicht?“
„Weil ich an gestern denke.“
„Gestern?“
„An gestern im Schrank, als wir uns so nah waren. So ineinander ruhend.“
„Das meine ich doch. Und jetzt diese Leere.“
„Dann mach es doch mal wie ich: Wenn ich in mich reinfühle, spür ich was.“
„Was denn?“
„Dass ich erfüllt bin von dir.“ ?

Wenn ich du wäre

„Gegen dich komm ich doch nie an“, sagte die gläserne Pyramide zum alten Louvre.
„Und ich nicht gegen dich.“
„Hey, Alter, du klagst aber auf fürstlichem Niveau.“
„Wieso?“
„Du bist hier doch der Superstar. Die ganze Welt will zu dir. Durch mich latscht man doch nur durch, um bei dir anzukommen.“
„Haste schon mal darüber nachgedacht, wie ich mich als Star so fühle?“
„Wie wirste dich schon fühlen?! Super.“
„Können gerne mal die Rollen tauschen.“
„Und dann?“
„Dann dürftest du dir von morgens bis abends anhören, was die Welt glaubt, über meine Bilder zu wissen, und in mir wäre der Himmel zu Gast.“
„Wieso der Himmel?“, fragte die Pyramide.
„Weil ich dann wie du aus Glas wäre. Der Himmel würde mich ansehen und einfach zu mir reinkommen. Jeden Tag. Und wenn ich dann an die Nächte denke: Sämtliche Sterne würden in meine finstre Tiefe funkeln.“ ?

Nicht einmal umdrehen

„Ich will nicht“, sagte er und drehte sich um.
„Wieso? Wir haben uns doch noch gar nicht kennengelernt.“
„Ist auch gut so“, murmelte er vor sich hin.
„Ist gar nicht gut. Wir könnten uns doch was geben.“
„Was denn?“
„Sympathie.“
„Wo willste die denn hernehmen?“
„Du könntest mir ein bisschen von deiner geben, dann bekämste ruckzuck welche von mir.“
„Und wie soll ich das machen?“
„Du könntest mich zum Beispiel ein wenig freundlicher übersehen. Müsstest dich dafür nicht mal umdrehen. Nur deine Stimme lächeln lassen. Das wäre schön.“ ?

Zu hoch

„Bei dir komme ich mir so nutzlos vor“, sagte das Toilettenhäuschen zum Berg. „Wieso?“
„Keiner kommt zu mir rein, keiner liest die Weisheiten, die an meinen Wänden stehen, und überhaupt, ich komme mir so schrecklich leer vor.“
„Fang bloß nicht an zu heulen“, sagte der Berg. „Ganz viele, die es zu dir zieht, werden durch dich klüger.“
„Durch mich?“
„Klar, durch dich kapieren sie, dass es Ziele gibt, die unerreichbar sind und deshalb nutzlos.“ ?

Nur wenn ich blau bin

„Ich beneide dich“, sagte die Brücke zum Himmel.
„Wieso?“
„Weil dich jeder liebt.“
„Übertreib nicht. Die meisten mögen mich nur, wenn ich blau bin.“
„Aber ich finde dich auch toll, wenn du mal nicht blau bist, denn grenzenlos biste immer. Und das finde ich himmlisch.“
„Na ja, ohne Grenzen zu sein, ist ja auch nicht nur gut. Sieht man doch bei dir auf der Erde. Manche halten das gar nicht aus. Die haben sich in ihrer Grenzenlosigkeit sogar total verrannt. Für die gibt’s nur noch einen Ausweg: ne Mauer.“
„Mauer als Ausweg? Ist doch beschränkt. Mauerbauer mag doch keiner.“
„Glaubst du.“
„Ja, glaube ich, denn jeder, der mich überquert, spricht gut über mich. War schon immer so.“ ?

Sie waren zu klein

Sie war der Hammer. Alles an ihr war beängstigend. Sie lag auf ihm wie Beton, drückte ihm die Luft ab. Er musste weg, stieß sie von sich, rannte barfüßig davon. Dann endlich Schuhe. Er nahm die erstbesten. Sie waren zu klein. Er schleppte sich weiter. Die Füße schmerzten. Jetzt zählten nur noch sie. Die Sorge, die soeben noch wie Beton auf ihm lag, war weg und vergessen.