Nichts los.
Lungernde Leere.
Gedanken klopfen an,
kehren zurück
wie längst gegangene Gäste,
betreten das Nichts, kreisen
auf der Tanzfläche der Erinnerungen.
feiern und streiten,
lieben, begehren, rechnen ab.
Das Jetzt bringt sie aus dem Takt.
Keiner setzt sich.
Sie tanzen ins Nichts.
Des Jahres Nachtgewand
Mit weißem Himmelsstaub
bedeckt der Winter
Bäume, Felder, Dächer,
reicht dem Jahr
das Nachtgewand,
will uns führn
zur Traumesstille,
aus der hellwach wir schaun
auf das,
was kommen mag.
Bis ich dich in ihm erkenne
Ich mag dich,
du zartes Nebelgewand.
Wenn du die Welt
mit dir umhüllst,
ertasten meine Augen Formen
wie einer,
der entnebelte Blöße sucht.
Bald hör ich dich flüstern,
hör, wie du tuschelst
mit meiner Fantasie,
ihr ungewisse
Versprechungen machst.
Und im Ungewissen
entdecke ich Leben.
Bis ich es rückwärts lese,
dieses Leben, und dich
in ihm erkenne, dich,
meinen Freund,
den Nebel.
Schätze
O Nacht,
du musst sie lieben,
all die Halme und Sprosse,
die ihr Ich kaum erfahren,
im Wir ein Leben lang
Weide sind.
Hast für sie
in lichtfernen Stunden
deine Schätze
aus nachtkühlen
Schatullen geholt,
jeden Halm, jeden Spross
mit deinem Tau geziert.
Einen prachtvoller
als den anderen.
Und wenn der Tag
zur Wachablösung
dir gute Nacht gesagt,
ist’s, als hättest du
dein diamantenes Kleid
abgestreift,
damit des Morgens Sonne
ihre eigne Pracht
in der Weide
glitzerndem Gewand
erkenne.
Alles still
Alles still,
wie lahmgelegt,
und doch
von Stillstand keine Spur.
Silbergrau gewandet
feiern Zweige,
Äste, Halme winterfestlich leis
das Innehalten.
Vom Sommerkleid befreit,
sind sie bereit,
des Frostes weißes Raugewand zu tragen.
Beim Walzer
klirrend kalter Zeit
sich wiegend,
erspüren sie im Miteinander
der Sonne Weg
vom Ich zum Du.
Schlägst sie leck
Bevor des letzten Tages Kerze ausgebrannt,
will ich lernen, hellwach die Nacht zu verehrn.
Nicht die eine, die alle erwartet,
nein, jede, die mir enthüllt,
was kein Tag mir zeigen kann.
Denn du, finstre Nacht,
schenkst mir der Sterne Leuchten,
während du selbst dich im Mondlicht sonnst.
Im Meer der Träume
schlägst du meine Angstfregatten leck
und lässt sie in dir untergehn.
Sehnsucht
Manchmal,
wenn sie ganz nah mir ist,
glaube ich, sie zu hassen.
Kehrt sie dann endlich mir
den Rücken zu,
entweichend in die Straßen
meiner fernsten Ziele,
fange ich an, sie zu ersehnen
und kann schon schmecken
der Sehnsucht bittersüßen Namen.
Ich frage mich,
was ich an ihr so mag,
ist doch Erfüllung nur
der Schluss gelackter Utopie.
Wahrscheinlich ist’s der Sehnsucht Geist,
der leis dem tiefsten Wollen sagt,
dass die Erfüllung
meiner größten Wünsche
mich niemals macht
so glücklich wie gedacht.
So gleite ich,
die Sehnsucht liebend,
mit der Ebbe schmerzlichen Vermissens
ins tiefe Meer des Wollens.
Fest halte ich der Sehnsucht Hand,
spüre Glück mit ihr an meiner Seite,
schenkt sie doch meinem Leben Ziel.
Und bleibt mein größtes auch
für immer unerreicht,
so seh ich mit der Sehnsucht neben mir
doch stetig Land.
Denn wäre sie nicht da,
wär es mein Untergang.
*
Dieses Foto ist das Foto von einem Foto. Das Original hat der britische Regisseur Isaac Julien gemacht hat. Ich habe es im Bremer Museum Weserburg fotografiert. Dazu schreibt das Museum: „Die Kälte des Tagungsraumes, seine strenge Fensterfront im kühlen Schwarz-Weiss vermitteln den Eindruck arrangierter Künstlichkeit. Auch die Hausangestellte wirkt wie ein Teil der sterilen Einrichtung. Aber ihre Haltung erinnert an romantische Rückenfiguren mit ihrem sehnsuchtsvollen Fernblick. Ihr Blick jedoch verliert sich in einer Vielzahl unpersönlicher Hochhäuser. Das Foto ist eine eigenständige Bilderzählung, obwohl es als Teil einer mehrteiligen Fotoserie im Zusammenhang mit Juliens Filminstallation Playtime (2014) entstand.“
Waldgestalten
Hab so oft schon mich gefragt,
warum ich euch so mag,
euch Waldgestalten.
Ist’s der Kiefern wilder Wuchs,
der still mir meine Starrheit zeigt,
bis Wildheit endlich auch in mir
gedeihen kann?
Ist es das kathedrale Dach der Buchen,
das meinen Blick zum Himmel lenkt
und meiner Schwere Flügel schenkt?
Oder ist’s des Farns Genügsamkeit,
die stumm mich lehrt,
dass Leben auch auf Schattenseiten
palmengleich mit Schönheit prassen kann?
Gewiss, das alles ist‘s.
Doch im Tiefsten mich erhellt,
wenn all ihr Kiefern, Buchen, Farne euch,
vom Wind bewegt,
zum Tanz der Wälder schwingt.
So verschieden ihr auch seid,
ist Harmonie doch euer einzig Ziel,
wenn nach des Himmels Dirigat
ihr euren Leib mal neigt,
mal hebt,
und der Welt vor Augen führt,
wie Einklang geht.
Geheimnisvolle Hülle
Kann’s sein,
dass ich zu wenig Beachtung
dir geschenkt?
Mir schwant,
dass viel mehr du bist
als schnöde Verpackung.
Schau ich genau dich an,
entdeck ich das Wort.
Es ist dir so ähnlich,
muss deine Schwester sein.
Das Wort
ist talentiert wie du,
verhüllt Wahrheit wie Lüge,
Bewunderung wie Hass.
Immer ist das Wort für mich da,
kommt mit Schulterklappen daher,
kreuzt im Talar bei mir auf,
und bietet selbst
im weihräuchernden Habit
mir seine
verpackenden Dienste an.
Mal verhüll ich eigne Niederlagen
mit ballernden Wortkanonaden,
mal wickelt das Wort mich ein,
und manchmal,
verwickelt’s mich in Gedanken,
die ich nie gedacht,
in denen ich mich suche
und niemals find.
Und manchmal schafft’s das Wort,
Händen gleich,
mich anzuziehen.
Wenn das geschieht,
zieht’s bald mich auch aus,
und entdeck ich
meine Blöße dann,
seh ich in ihr
mein schönstes Gewand.
Überleg ich es recht,
so liebe ich dich,
geheimnisvolle Hülle.
Egal, wie du bist,
ob edel glänzend
oder grau wie Packpapier,
du bist die Haut,
die meiner Hoffnung
Formen gibt.
Flucht kennt keine Grenzen
Auf eigne Wände
ist Verlass.
Sie bleiben, wo sie sind,
nehmen’s geduldig hin,
wenn wir uns an sie lehnen.
Und wenn keiner kommt,
uns zuzuhörn,
eigne Wände sind da,
schenken uns
ihr steinernes Ohr.
Wände,
von Barbaren gebaut,
kreuzen auf Fluchtwegen auf,
haben Beton im Ohr,
damit keine Träne in sie dringt,
die Hasswände sprengt.
Doch Flucht
kennt keine Grenzen,
macht Paradiese menschenleer,
bis Barbaren
nichts als eigene Wände erblicken
und im Rückwärts
ihr einsames Vorwärts sehen.