Seelenzimmer zu vergeben

„Du bist echt zu beneiden“, sagte die Einsamkeit.
„Wieso?“, fragte die Geborgenheit.
„Weil alle Welt total auf dich abfährt. Und das nur wegen deiner Rumkuschelei.“
„Geht auch ohne.“
„Wie, ohne? Ganz ohne Anfassen und so?“
„Ja, die meisten wollen nur etwas wissen“, sagte die Geborgenheit.
„Von dir?“
„Ja.“
„Und was?“
„Dass ich in meiner Seele ein Zimmer für sie habe. Eins, in das sie immer hinein können, auch dann, wenn alles andere zu ist.“ ?

Er war so umwerfend

„Entschuldige, aber dieser Wind war einfach umwerfend“, sagte die Birke.
„Ach so“, sagte der Weg, „und ich hab schon gedacht …“
„Was haste gedacht?“
„Ach nix“, sagte der Weg.
„Wie, nix?“
„Was soll ich schon gedacht haben?! Dass du meine Nähe suchst. Und dass du wirklich so stark bist wie du aussiehst.“
„Und wieso zweifelst du plötzlich daran?“
„Wenn du’s wärst, dann wärste bei mir doch schon ganz von allein umgefallen. Auch ohne Wind.“ ?

Heiß auf Abstand

„Boah, ist das hier kuschelig“, sagte das Holz.
„Aber auch ganz schön eng“, sagte das andere.
„Heißt das, dass du meine Nähe nicht schön findest?“
„Quatsch, du weißt doch, wie du mir gefehlt hast, als wir noch meterweit auseinander lagen.“
„Also, dann freu dich doch!“
„Tu ich ja.“
„Aber nicht so richtig doll.“
„Doch, ich überleg nur.“
„Was überlegste denn?“
„Dass einer, der Abstand hält, sich nicht automatisch entfernt.“
„Hey, geht’s noch komplizierter?“
„Nee, da ist wirklich was dran: Als ich noch ganz weit von dir weg lag, kapierte ich erst, wie sehr ich dich mag.“ 

Zu nahe

„Darf ich mal ganz ehrlich sein?,“ sagte der eine Baum zum anderen.
„Klar, immer. Weißt doch, wie ich es liebe, wenn du ganz offen bist. Also sag schon!“
„Ich finde einfach, du gehst zu weit.“
„Wie meinst du das?“
„Du kommst mir zu nahe.“ ??

Brauchte mal Abstand

„Und ich dachte immer, du brauchst Abstand.“
„Brauchte ich auch.“
„Wieso eigentlich?“
„Weil ich dann mehr sehe.“
„Und was haste gesehen, als du so weit weg warst?“
„Unsere Nähe.“
„Aha. – Und jetzt, wo du total nah bei mir bist?“
„Jetzt sehe ich noch Schöneres.“
„Was denn?“
„Dass ich groß bin. Mit dir bin ich gewachsen. Fühle mich schon richtig riesig.“
„Wie denn das?“
„Durch deine Nähe. Die gibt mir Abstand zu mir selbst. Und mit so ’nem Abstand sehe ich nicht nur mich. Ich sehe uns.“ ??

Wieso geht er nicht rein?

Ich habe mir ja lange den Kopf darüber zerbrochen, warum er nicht mit ihr rein geht. Rein in die Höhle. Könnte doch ganz gemütlich sein. Ich glaube, jetzt weiß ich’s. Irgendwo habe ich nämlich mal gelesen, die Frau sei so etwas wie die prähistorische Höhle, in der der Mann immer und immer wieder seinen Ursprung suche. So gesehen hat er ihn also schon gefunden, seinen Ursprung, und findet’s zu zweit unter freiem Himmel – so rein gar nichts mehr suchend – auch ganz schön.