Aus dem Bett verbannt

Gastkolumne in OM-Medien, Münsterländische Tageszeitung und Oldenburgische Volkszeitung am 26. April

Ich habe ihn ja durchaus lieb, meinen Hund. Wirklich. Und dennoch: In mein Bett kommt er nicht, und auch am Tisch hat er nichts verloren. Diese Tabus haben hygienische Gründe. Obwohl sie bei mir nichts Neues sind, haben sie mich in den letzten Tagen nachdenklich gemacht. Mit dem Ergebnis, dass ich künftig auch mein Handy wie meinen Hund behandeln werde. Habe ich mir jedenfalls vorgenommen. Auch dies übrigens aus hygienischen Gründen. Genauer: aus Gründen der Psychohygiene. Denn all die Krisennachrichten, die in letzter Zeit auf meinem Display erscheinen, haben im Bett nichts zu suchen. Lasse ich sie rein, werde ich sie  womöglich bis zum Morgen nicht mehr los. Und am Tisch versalzen sie mir den leckersten Start in den Tag.

Natürlich kann ich auf allen Social-Media-Plattformen meine Algorithmen erziehen. Mache ich auch, indem ich alle zweifelhaften Verfasser zweifelsfrei erlogener Nachrichten blocke. Und ich kann Facebook mit einem einzigen Klick zu verstehen geben, dass mich dieses oder jenes Thema nicht interessiert. Das wirkt.

Dennoch, im hastigen Medienkonsum manifestiert sich in mir der Eindruck, es gebe nur noch bedrohliche Nachrichten. Bei aufmerksamerer Betrachtung erkenne ich, dass das nicht stimmt. Die Abholzung der Regenwälder nimmt deutlich ab. Noch vor 30 Jahren sind fast zwölf Millionen Kinder gestorben, bevor sie fünf Jahre alt waren. Diese Zahl hat sich mehr als halbiert. Ähnlich stark sind Muttersterblichkeit, Hunger und Armut gesunken. Vor 30 Jahren gab es noch keine Alternative zu fossilen Energien. Heute haben wir sie mit erneuerbaren Energien zur Verfügung. 

In ihrem Buch „Hoffnung für Verzweifelte“ führt die Umweltwissenschaftlerin Hannah Ritchie die Positivliste noch viel weiter. Als Klimaforscherin arbeitet sie im Programm für globale Entwicklung der Universität Oxford. Kurz nach ihrem Studium der Umweltgeowissenschaften glaubte sie, in der schlimmsten Zeit der Menschheitsgeschichte zu leben. Doch dann hat sie Berge von langfristigen Datenentwicklungen ausgewertet. Heute sagt sie: „Wir haben die Chance, als erste Generation Nachhaltigkeit zu erreichen.“ 

Markant ist, dass diese und viele weitere gute Nachrichten uns längst nicht so zielsicher erreichen wie die schlechten. Warum das so ist, sagt uns die Hirnforschung: Unser Gehirn ist so gepolt, dass es auf Bedrohungen stets stärker reagiert als auf Erfreuliches.

Das kenne ich auch aus eigener Erfahrung: Ein körperliches Symptom kann mir tage- und wochenlang Angst vor einer ernsthaften Erkrankung einjagen. Ich sehe die Welt nur noch wie einer, der sie in Kürze verlassen muss. Dann das Resultat des untersuchenden Mediziners: „Ihre Werte sind gut.“ Welch eine Freude! Allerdings hält sie nicht lange. Innerhalb von ein paar Tagen gewöhne ich mich an das Privileg gesund zu sein. Es ist normal geworden. Die Angst zuvor hingegen, die werde ich nie vergessen. 

Das ist menschlich. Der Grund für solches Empfinden liegt bei unseren steinzeitlichen Vorfahren. Die, die sich stets aufmerksam mit allen möglichen Bedrohungen beschäftigten, hatten eine deutlich höhere Überlebenschance. Wer weniger Aufmerksamkeit zeigte, zeigte dem Säbelzahntiger den Weg zum schnellen Fressen und schaffte es nicht, sich fortzupflanzen. Somit ist es das Erbe der vorsichtigen Bedenkenträger, das wir mit uns herumschleppen.

Wir Heutigen stehen nicht vor der Aufgabe, uns vor wilden Tieren in Sicherheit zu bringen. Unsere Aufgabe ist es, unsere Zuversicht zu schützen. Wer glaubt, sie sei das wohlige Gefühl, das im Dunst günstiger Prognosen auf dem Plüschsofa zu erschnuppen sei, irrt. Die Zuversicht ist wie ein Muskel. Der muss trainiert werden. Stark wird er, wenn wir ihm Stärkendes zuführen. 

Damit hatte ich nicht gerechnet

Gastkolumne in OM-Medien zum 11. November

Wissen kann richtig weh tun. Das habe ich kürzlich bei einer Einladung zum Kaffee begriffen. Am Tisch ging es nicht ausschließlich um die köstliche Marzipantorte der Gastgeberin, auch um die unappetitlichen Themen dieser Zeit. Damit hatte ich durchaus gerechnet, da ich in einer Runde informierter und kritischer Köpfe saß. Womit ich nicht gerechnet hatte, war, dass mein Gegenüber die Tagesschau an den Pranger stellte. Die Anklagepunkte lauteten: nur noch schreckliche Nachrichten, übertrieben dramatisiert und nicht mehr auszuhalten. Ein Blick ins empörte Gesicht der Klägerin sagte mir zweifelsfrei: Aktuelle Kriseninfos haben ihre Schmerzgrenze massiv überschritten. 

Unser Bundespräsident drischt nicht auf professionelle Medien ein, aber er kann nachvollziehen, was in Konsumenten aktueller Nachrichten vorgeht. In seiner Rede zum 100. Geburtstag des Spiegel-Gründers Rudolf Augstein beklagte er eine „News-Erschöpfung“. Immer weniger Leser, Hörer und Zuschauerinnen schafften es, so Frank-Walter Steinmeier, in den sich „überstürzenden Nachrichtenlagen“ den Überblick und die Nerven zu behalten. Von Bürgerinnen und Bürgern wisse er, dass viele „in einer Art Selbstschutz“ zu Nachrichten-Verweigerern werden. „Andere ziehen sich zurück in eine Parallelwelt, in der Wahnsinn, Verschwörung und erfundene Wahrheit regieren.“

Steinmeiers Eindrücke werden vom Hamburger Hans-Bredow-Institut untermauert. Laut dessen Untersuchung meiden 45 Prozent der Befragten in Deutschland Nachrichten über den Krieg in der Ukraine und 27 Prozent Informationen über den Klimawandel. Schmerzhafter Haken an der Sache ist: Wer wesentliche Informationen ausblendet, kann kaum gute (Wahl-)Entscheidungen treffen und schon gar keine Lösungen für eine bessere Zukunft finden. 

Die große Paradoxie unserer Zeit ist: Nie konnte die Menschheit über mehr Informationen verfügen als heute, und noch nie war die Gefahr so groß, genau aus diesem Grund weniger zu wissen. 

In seinem Bestseller „12 Gesetze der Dummheit“ schreibt der Neurowissenschaftler Dr. Henning Beck: „Allein die Tatsache, dass wir einen hohen IQ haben, heißt noch lange nicht, dass wir der Dummheit entkommen wären. Das Gegenteil kann mitunter der Fall sein.“ Schließlich handeln wir vielfach wider unsere Existenz. Wir wissen, dass wir unser Verhalten – nicht nur hinsichtlich Klima und Artensterben – rasant ändern müssen, tun es aber allenfalls marginal. Viel lieber vertrauen wir darauf, das Problem, wenn es irgendwann mitten im Raum vor uns steht, schon irgendwie verscheuchen zu können. 

Dass wir uns mit der Zukunft schwer tun, verrät schon unsere Sprache. Wir sagen nicht: „Ich werde morgen ins Kino gehen.“ Wir sagen: „Ich gehe morgen ins Kino.“ Die Gegenwart erscheint uns greifbarer. Unsere Zukunft wirkt eher abstrakt, so, dass es schwer fällt, sich für sie ins Zeug zu legen. Am ehesten tun wir das, wenn wir glauben, dass unser persönlicher Nutzen deutlich spürbar wird. Und zwar sofort. Sofort ist allerdings nichts zu erwarten, wenn wir heute fürs Alter vorsorgen oder uns entschließen, gesund zu leben. 

Das Typische an Krisenzeiten ist: Sie gebären Pessimisten. Zugegeben, viele von ihnen sind gute Analytiker. Sie klingen schlau, neigen aber dazu, Themen zu verkomplizieren. Was es braucht, sind unzufriedene Optimisten. Mit ihrem Lebenshunger bringen sie es fertig, aus der letzten Mandel dieser Welt eine Marzipantorte zu zaubern.