Am liebsten hätte ich ihm gesagt, er solle sich vom Acker machen. Aber wer sagt das schon zum eigenen Chef. Stattdessen ertrug ich ihn. Direkt hinter mir stehend. Von dort sah er mir über die Schulter, sagte nichts, während ich am Leuchttisch sitzend versuchte, ein Buchcover so zu gestalten, dass er es akzeptieren konnte. Er sagte ewig nichts, bewegte sich nicht. Dieser sonst so dauergestresste Mann schien was genommen zu haben. Plötzlich die Finger seiner linken Hand auf meiner Schulter. Es muss die linke gewesen sein, denn die rechte war ja nur dazu da, das ewig glimmende Licht einer Ernte 23 zu halten. Dann murmelte er etwas, das mir nicht entgehen sollte: „Hätte ich nicht so gut hingekriegt.“ Sechs Wörter, die in mir Feuer legten. Ich fing an zu brennen. Für meinen Job als Layouter, in dem ich vor Jahrzehnten tätig war, und auch für ihn. Nie zuvor hatte ein Lob so viel in mir bewirkt. Warum jetzt? Weil dieser Mann ansonsten mit Lob so sparsam umging wie ein Betrüger mit der Wahrheit.
Okay, vielleicht ticke ich diesbezüglich ja etwas speziell. Wenn aber stimmt, was ich kürzlich zum Thema las, muss ich mir kaum Sorgen machen. Lob sei so etwas wie ein Hauptnahrungsmittel des Ichs, erfuhr ich da. Und der Schriftsteller Mark Twain brachte es auf seinen ganz persönlichen Punkt, indem er zugab: „Von einem richtig guten Kompliment kann ich zwei Monate leben.“
Oliver Dickhäuser, Psychologe an der Uni Mannheim, sagt: „Wir wissen, dass von den Faktoren, die zu Erfolg führen, Lob zu den stärksten gehört.“ Fragt sich nun, wieso das Lob ein so mieses Image hat? Manchmal kommt es mir so vor, als sei der Satz „Nicht gemotzt ist genug gelobt“ einer aus den Zehn Geboten. Zugegeben, so manch lobende Worte wirken in mir wie gammelnde Forelle auf nüchternen Magen. Immer dann, wenn mir einer mit Engelszunge Charmantes einzuhauchen versucht, das nach höllischem Ursprung mieft. Auch dann, wenn Lob und Komplimente wie mit der Gießkanne verteilt werden. Da fällt mir ein Satz von Peter Henningsen, Chefarzt an der Technischen Universität München, ein. Er sagt: „Pauschales Dauerloben ist eine Form der Vernachlässigung durch Verwöhnen.“ Der Mann spricht mir aus der Seele.
Andererseits versuchen unzählige Arbeitnehmer damit klarzukommen, noch nie von ihrem Chef oder ihrer Chefin gelobt worden zu sein. Ihnen fehlt Anerkennung, Wertschätzung und das Gefühl, wahrgenommen zu werden. Klar, dass alle, die eine Chance sehen, so Elementares woanders zu finden, gehen.
Heute, am 21. Januar, kann es passieren, dass man mehr wahrgenommen wird, als man verkraften kann. Heute ist nämlich Weltknuddeltag. Im Ernst. Und der ist keine neumodische Erfindung. Der US-amerikanische Pfarrer Kevin Zaborney hatte 1986 die Idee dazu. Er meinte, in der kalten Zeit zwischen Weihnachten und Valentinstag bräuchte die Menschheit Wärme. Sein Plan war es nicht, einander wahllos liebkosend anzufallen, sondern einander in der Öffentlichkeit achtsam näher zu kommen.
Ich glaube, das brauche ich nicht. Was ich allerdings schlecht lassen kann, ist, zu sagen, wenn mich etwas bei wem auch immer begeistert. Dann bekomme ich nämlich auf der Stelle etwas geschenkt: das freudige Lächeln meines Gegenübers. Wenn’s mir vorher nicht so besonders gut ging, danach garantiert. Ich glaube, die Erleuchtung kam mir diesbezüglich einst am Leuchttisch.