Sie liebkosen

Weiß nicht, 
ob ich jemals dich gehabt. 
Bin nicht einmal mir sicher,
ob ich weiß, wer du bist. 
Deine Schwester, das Glück, 
ist mir vertrauter.
Sie ist ein seltsamer Vogel, 
kommt wie der Kuckuck 
mit lautem Ruf daher,
legt ihr Ei ins fremde Nest, 
doch kann ich nicht halten,
was daraus schlüpft. 
Es fliegt davon. 

Wie oft schon
lief ich dir hinterher,
dir, meinem Glück. 
All mein Sehnen 
klebte an dir 
wie einst die Augen Suchender
am Stern von Bethlehem. 
Schluss mit der Suche 
nach dem Glück. 
Will nicht mehr laufen 
stets hinterher. 

Will da sein, wo ich bin,
leis warten 
auf des Glückes Schwester. 
Zufriedenheit soll sie heißen, 
weder laut noch flatterhaft sein. 
Man sagt, 
sie brauche nicht viel 
für ihr Glück. 
Nur ein Zuhause. 
Ich will es ihr geben, 
tief in mir. Und sie liebkosen. 
Bis Zufriedenheit 
in mir wohnen mag
und mich zum Frieden lenkt. 

„Da fall ich lieber vorher tot um“

„Siehst ganz schön alt aus“, sagte der junge Baum zum alten.
„Bin ich ja auch.“
„Und wie hältste das aus? Also ich will nicht so enden. Da fall ich lieber vorher tot um.“
„Hab doch nichts auszuhalten“, sagte der Alte, „jedenfalls nichts Schlimmes.“
„Und was ist mit der Einsamkeit? Hier ist doch nichts los.“
„Das war ja nicht immer so. Früher waren wir viele. Sehr viele.“
„Das mein ich doch. Heute ist kaum noch einer da, nur die Einsamkeit.“
„Und die Ruhe“, sagte der Alte. „Seit die da ist, komme ich zu mir selbst.“
„Aha. Und wenn dich mal was runterzieht, hilft dir keiner wieder hoch.“
„Stimmt, aber die Ratschläge anderer führen mich nicht zu mir selbst.“
„Das ist mir zu hoch“, sagte der junge Baum.
„Alle, die mir früher halfen, hatten gute Absichten, denn sie hatten mich gern. Aber auch sie waren nicht glücklich. Sie rieten mir zu dem, was sie gelernt hatten. Zu anderem konnten sie mir nicht raten.“
„Immerhin“, sagte der junge Baum.
„Zu viele gaben mir ihre Lebensauffassung mit, durch die sie selbst nicht glücklich wurden.“
„Aber wie soll es anders gehen?“
„Indem man diese Kette bricht. Aber tut man es, fühlen sich deine Ratgeber nicht geachtet, denn du lehnst es ab, ihr Leben zu führen.“
„Anders geht es doch gar nicht.“
„Doch, indem man sich seiner selbst bewusst wird. Und das gelingt nur in der Stille.“
„Und dann?“
„Dann macht man die größte aller Erfahrungen: die der eigenen Einmaligkeit.“

Zwischen den Seilen

Meistens
kommt es so unscheinbar daher,
dass man es glatt übersieht.
Als bescheiden schimmernder Winzling
sitzt es zwischen so manchen Seilen,
an denen wir täglich kraftvoll ziehen:
das Glück.

Andreas Klaene

MerkenMerkenMerkenMerkenMerkenMerkenMerkenMerkenMerkenMerkenMerkenMerkenMerkenMerkenMerkenMerkenMerkenMerkenMerkenMerkenMerkenMerken