
Gastkolumne in OM-Medien, Münsterländische Tageszeitung, Oldenburgische Volkszeitung am 31. Mai.
Ich habe einen Wunsch, einen, der mir immer heftiger unter den Nägeln brennt. Manchmal träume ich sogar von ihm und glaube beim Weckerklingeln doch tatsächlich, er sei in Erfüllung gegangen. Dies jedoch allenfalls eine Sekunde lang. In der Erfüllung dieses Wunsches werden die Staaten dieser Erde – quasi über Nacht – nur noch von weisen Präsidentinnen und Präsidenten regiert.
Aber was ist das eigentlich, Weisheit? Orientiere ich mich an Märchen und Mythen, ist Weisheit eindeutig ein Privileg des Alters. Alte Präsidenten fallen mir so einige ein. Doch sie sind keine Märchengestalten, die bereits üppige Portionen Weisheit löffeln, während alle andere Figuren noch nach dem Besteck suchend durch die Märchenwälder stolpern. Diese alten Männer haben nicht das Zeug, besonnen Streit zu schlichten, sie führen ihn herbei. Und wer ihnen kontert, dem kommen sie mit Kanonen. Meine ernüchternde Erkenntnis: Alter wird nicht vollautomatisch mit Weisheit ausgestattet.
Doch jetzt die gute Nachricht. Und die kommt nicht von einer Märchenprinzessin sondern von Judith Glück. Die geborene Münchnerin ist Weisheitsforscherin und Professorin der Psychologie an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt. In ihrem Buch „Weisheit“ geht sie der Frage nach, was diese Eigenschaft eigentlich bedeutet. Fällt sie Menschen zu wie eine Gabe, oder beruht sie auf Fähigkeiten, die sich erlernen lassen?
Im Ergebnis jahrzehntelanger Forschungsarbeit erkennt Judith Glück fünf Eigenschaften, über die weise Menschen verfügen: Sie zeigen sich offen für neue Perspektiven, sie haben Einfühlungsvermögen, verhalten sich reflektiert, gehen klug mit eigenen Gefühlen um und haben Selbstvertrauen.
Das sind nicht per se präsidiale Eigenschaften. Auch sind sie nicht mit dem Zepter in der Hand herbeizuzaubern. Sie werden auch niemandem einfach in die Wiege gelegt. Aber jeder Mensch kann mit seinen Lebenserfahrungen so umgehen, dass Weisheit in ihm gedeiht. Das ist das Fazit dieses erhellenden und tiefdringenden Buches.
Und wie geht das? Nicht, indem man IQ-Tests mit Bravour besteht. Wer das schafft, beweist allenfalls Intelligenz. Die wiederum bietet zweifelsfrei guten Nährboden für Weisheit. Über den verfügen in der Regel auch kriegstreibende Staatschefs. Aber was auch immer sie anzetteln, sie führen vor allem ihren eigenen, ganz persönlichen Vorteil im Schilde.
Weise Menschen sind anders gestrickt. Obwohl sie über vielfältige Erfahrungen verfügen, sind sie sich immer auch der Grenzen ihres Wissens bewusst. Das macht sie zu aufmerksamen und leidenschaftlichen Zuhörern. Was nicht heißt, dass sie bereit sind, jede noch so konträre Meinung zu übernehmen, aber sie hören Kontrahenten mit Offenheit an und wägen ab. Und mehr noch: Sie empfinden es als bereichernd, sich in ihr Gegenüber hineinzuversetzen. Auf diese Weise lernen sie zu verstehen und zu akzeptieren, dass jeder ganz eigene Beweggründe für seine Logik hat. Studien zeigen, dass solche Menschen nicht um jeden Preis gewinnen wollen. Ihr Ziel ist es, die bestmögliche Lösung für möglichst viele Menschen zu finden.
Weisheit macht nicht glücklicher, auch das verraten uns Judith Glücks Forschungen. Sie belegen aber, dass weise Menschen ihr Glück viel mehr aus sozialem als aus egoistisch lustgesteuertem Handeln ziehen. Diese Erkenntnis kann nicht nur Präsidenten helfen. Wenn wir sie ernstnehmen, verhelfen wir all unseren kleinen Welten zu Menschlichkeit.