Bist genauso blau wie wir

„Also, nicht dass ich was gegen euch hätte, aber ich glaube, ich muss hier weg“, sagte die mittlere Vase.
„Wieso das denn?“, fragte die linke.
„Weil ich überhaupt nicht zu euch passe.“
„Quatsch, sieh dich doch mal an, du bist genauso blau wie wir.“
„Ja, okay, aber ansonsten total anders.“ 
„Ist mir noch gar nicht aufgefallen.“
„Mal ne Frage“, sagte die rechte Vase, „bist du tatsächlich anders als wir, oder willst du es nur sein?“
„Ich will es, weil ich glaube, dass ich es bin.“
„Auf dem Trip war ich auch mal.“ 
„Wieso war?“
„Weil’s nichts brachte: Als ich anders als ihr sein wollte, merkte ich, wie sehr ich euch glich.“
„Und nun?“
„Bin ich bei euch und zugleich ganz ich.“ ?

Reif

„Blöder Baum“, sagte der Apfel.
„Wieso blöder Baum? Was haste denn gegen den?“, fragte der andere.
„Ich fühl mich total fallengelassen.“
„Versteh ich nicht.“
„Was gibt’s denn da zu verstehen?! Monatelang macht er einen auf anhänglich. So, dass man an die große Liebe glaubt. Und dann war’s das.“
„Nix da, der hat uns noch viel lieber als du glaubst.“
„Ha, ha, ha! Und warum lässt er uns dann einfach los?“
„Weil er akzeptiert, dass wir reif sind und ihn nicht mehr brauchen.“ ?

Dann wäre er außer sich

Ich würde ja gern mal. 
Also nur manchmal. 
Ich meine, mal `nen Blick reinwerfen, einfach mal gucken, wer da mit wem und so. Und auch das Wie wäre vielleicht gar nicht so uninteressant. Wenn man´s wüsste, sähe man seinen Nachbarn oder Chef womöglich mit völlig anderen Augen. Aber ich tu’s nicht. Ehrlich. Weil man’s halt nicht macht. Obwohl: Wenn ich’s täte und es käme raus, käme auch er raus. Aus dem Haus. Ich meine mein Nachbar. Oder sonst einer. Dann wäre er außer sich und gäbe mir einen völlig neuen Einblick in sein Inneres. ?

Getrübte Aussicht

Wenn die Aussicht mal mies ist,
bleibt einem ja immer noch die eigene Innenansicht.
Und die kann einen auf Gedanken bringen,
auf die man beim schönsten Blick nach draußen
nie gekommen wäre.

Des Jahres Nachtgewand

Mit weißem Himmelsstaub
bedeckt der Winter
Bäume, Felder, Dächer,
reicht dem Jahr
das Nachtgewand,
will uns führen
zur Traumesstille,
aus der wir
hellwach blicken auf das,
was kommen mag.

© Andreas Klaene