Verwandlung eines Gaffers

„Wenn ich dich so ansehe, wird mir ganz anders.“
„Oh, ist das schön. Dass ich sowas nochmal zu hören bekomme“, sagte das Bild zum Museumsgast. „Und das in meinem Alter.“
„Äh“, stammelte der Gast, „klar, ich find dich schön. Und wie! Aber ich meinte noch was anderes.“
„Du machst mich ja ganz verlegen“, sagte das Bild. „Heißt das, du hast dich in mich …“
„Ne, halt mal! Ich meine: durchaus, aber.“
„Du kannst ruhig ganz offen sein.“
„Na gut. Also, es ist so“, sagte der Gast: „Du faszinierst mich.“
„Und weiter?“
„Aber irgendwie fühle ich mich wie ’n Gaffer, wenn ich dich ansehe. Komme mir vor wie einer, der bei einem schrecklichen Unfall anhält und Fotos macht, statt den Rettungswagen zu rufen.“
„So sehr fühlst du dich von mir angezogen? Von dem, was ich dir zeige?“
„Ja, es bewegt mich zutiefst, was ich da sehe. Habe das Gefühl, mitten in deinem Geschehen zu stecken, was tun zu müssen, aber nur zu gucken.“
„In diesem Fall ist das völlig okay“, sagte das Bild. „Mein Maler Philippe Jacques de Loutherbourg würde vor Freude aus dem Grab springen.“
„Wieso das denn?“
„Weil er sich Leute wie dich gewünscht hat. Er wollte, dass sie mich fasziniert anschauen und sich dabei wie Voyeure fühlen. Denn wenn sie das tun, kriegen sie ein Gefühl für die übermächtige und gnadenlose Natur und fühlen sich vor ihr ganz klein.“
„Und dann?“
„Dann entsteht etwas sehr Schönes: Demut.“