Spiegel meines Glücks

Will nicht
drauf aus sein, 
mein Bild 
im Spiegel zu taxiern. 
Will meiner gewiss sein 
wie Bäume, 
die, vom Licht gemalt, 
im See sich sehn 
und doch ihr Bild 
nie achten. 
Rank und himmeltanzend, 
krumm und sturmzerzaust 
stehen sie da, 
als ob sie auf mich warten, 
wie Wesen, die wissen, 
dass gut sie mir tun, 
so wie sie sind. 
Schau ich beschenkt 
sie an, 
brauch ich den Spiegel 
nicht mehr, 
der mir nur zeigen kann,
wie ich mich seh. 
So lass ich zufrieden 
mich sein wie ich bin 
und finde, 
wenn ich dich seh, 
in deinem Blick 
den Spiegel 
meines Glücks. 

Über Leichen schlendern

OM-Kolumne zum Februar

Schon vor Jahren habe ich mein Auto aufgefordert, mich täglich an etwas zu erinnern. Und es pariert. Ich brauche nur aufs Kennzeichen zu schauen, und schon sagt es mir, was ich oft vergesse. Dort stehen nach dem Ortskürzel die Buchstaben „CD“ für Carpe Diem (nutze den Tag). Nicht dass ich ohne diesen Hinweis untätig wäre, aber ich würde mich zu oft auf sinnlose Weise belasten und mir so den Tag versauen.

Inwiefern? Indem ich mich aufrege. Mal übers Wetter, oft über mich und beispielsweise immer wieder über AfD-Anhänger, die montagsabends durch die Innenstädte des Oldenburger Münsterlandes spazieren. Manchmal habe ich das Gefühl, sie könnten über Leichen gehen. Vor allem dann, wenn sie mit Hass auf der Zunge sogar über Stolpersteine schlendern, mit denen Menschen eines Rechtsstaates an die erinnern, die das Hassregime von einst vernichtet hat. 

Aufregung und schimpfende Revanche helfen nie weiter. Beide fressen Lebensenergie. Und nicht nur das. Wer sich am Schlechten festbeißt, hält sich auf Dauer die besten Menschen vom Leib. Man wird einsam. Denn wer will schon ständig hören, was fürchterlich ist und was Katastrophales droht! Klar, Menschen, die gern über Staat und Welt herziehen, rotten sich gern zusammen. Aber sie harmonieren auf Dauer nicht, weil sie die Tendenz haben, auch übereinander schlecht zu reden. 

Wenn ich jeden Tag aufs Beste nutzen will, brauche ich Gelassenheit. Vor allem dann, wenn die Welt aus den Fugen gerät. Bei diesem Stichwort fällt mir die Queen ein. Sie ist in meinen Augen die Königin der Gelassenheit. Ich denke auch an Ex-Kanzlerin Angela Merkel, die selbst in größter Turbulenz gelassen blieb. Doch wie geht das? Über Altkanzler Helmut Schmidt weiß man, dass er sich Gelassenheit zeitlebens vom römischen Kaiser und Philosophen Marc Aurel abguckte. Diesen alten Stoiker fand er schon als Junge faszinierend. Sein Denken half ihm als Staatsmann, massive Krisen zu bewältigen und schnell schwere Entscheidungen zu treffen. 

Aber was denkt so ein Stoiker? Kurz gesagt, dass Gelassenheit in der Konzentration auf das Wesentliche entsteht. Wer so denkt, nimmt das Leben ernst, aber nicht schwer. Das heißt nicht, dass die Stoiker Positiv-Denker waren. Sie blickten ganz genau auf das Schlechte und Verlogene. Ebenso wenig waren sie Schwarzmaler. Sie ließen sich jedoch nicht von dunklen Emotionen treiben und jammerten nicht. Stattdessen akzeptierten sie, was unabänderlich war. Und sie führten sich vor Augen, was Schlimmeres hätte passieren können. So empfanden sie nicht nur Freude über ihr Schicksal, aus ihrer Freude schöpften sie Kraft.

Wer in aufgebrachter Zeit Gelassenheit zeigt, fasziniert. So jemand wirkt stark und auch anziehend. Wenn ich’s recht überlege, mag ich schon allein das Wort Gelassenheit. Der Theologe und Philosoph Meister Eckhart soll es um 1300 in seinen Predigten geprägt haben. Ich mag es, weil in ihm das Aktive und das Passive steckt: Ich kann etwas lassen, und ich kann gelassen werden.

Der Felsen, der du für mich bist

Denk ich an dich,
seh ich den Felsen,
der du für mich bist.
Seh die Brandung,
die nie dich verletzt,
sehe Fregatten, 
die achtungsvoll
dich umschiffen
auf ihrer Fahrt
zum sicheren Hafen, 
wo neben Kanus ruhend
nun sie zu Felsen werden.
Einem wie dir 
kann ich nichts sein,
will dennoch wissen,
wer du bist.
Mache mich auf,
in luftiger Höhe 
dir in die Augen zu schaun,
in deinem Blick 
zu erheischen,
wer ich für dich bin.
Und mache ich Rast
in finstrer Höhle deines Leibs,
finde ich 
in deiner Tiefe tastend
mich.
Dir mein Achten 
und Atmen schenkend.

Im winterlichen Festgewand

Wie sehr du dich 
verändert hast,
mein Winterfarn,
du, den das Licht 
verlassen.
Schau suchend dich an, 
doch mein Ideal, 
das einst ich in dir sah,
finde ich nicht
und frage mich,
ob du noch sein kannst,
was so lange 
du mir warst. 
Vom Sommer verlassen,
du und ich,
erschrickt mich 
mein frostig suchendes Sein.
Vereiste Augen 
tasten frierend dich ab,
erspüren sie wieder,
die vertraute Gestalt,
die so oft schon 
mich tauen ließ.
Nun find ich 
im Schmelzwasser 
meines Blicks 
dich wieder, 
dich, mein Ideal,
im winterlichen 
Festgewand.

Des Zylinders Wunderwelt

Bevor lezter Respekt
als alter Hut 
im Unrat 
polierter Egos zerfällt,
will ich lernen zu zaubern.
Wenn ich’s geschafft,
zieh ich, 
was abgelegt in alter Zeit,
aus des Zylinders Wunderwelt hervor. 
Dann tritt zutage,
was jedem nur scheinbar vertraut.
Nichts als das Ich, 
deins und deins und meins.
Als Zauberer lass ich es fliegen,
so elegant wie wir es nie gesehn,
bis Achtung unsere Sinne erhebt,
meine Achtung vor mir und dir und dir.
So von uns begriffen und geliebt
werden wir Drillinge gebären,
die Empathie, die Höflichkeit 
und den Respekt.
Mit ihnen ist die Welt zu retten,
bevor sie in der Bugwelle 
faulen Zaubers untergeht.

Was nachts geschah

In kalter Nacht, 
wenn alles schläft, 
wird er hellwach. 
Zu frostiger Stunde 
macht sich der Winter auf, 
die Welt zu beschenken. 
Aus finstrer Nacht holt er hervor,
was der Tag 
mit seinem Licht kaschiert.
Der Winter nimmt’s,
und sei es noch so klein,
verehrend und liebend
in frostglühende Hände, 
umschmiegt das Haar, 
ummantelt’s 
mit kristallnem Schmuck
und zeigt dem Morgen,
was liebend nachts geschah.

Sprachlos

Januar-Kolumne in OM-Medien

Noch nie habe ich so oft an ihn gedacht, wie in dieser pandemischen Zeit: an meinen alten Kollegen Ewald. Zu ihm habe ich einst aufgeschaut. Und das nicht nur wegen seines Wissens und seines Talents, mit dem er sich als Journalist unter die Haut seiner Leserschaft schrieb. Sein Blick aufs Leben faszinierte mich. Insbesondere der auf sein ganz eigenes und angeschlagenes. Der Parkinson hatte ihn mehrmals täglich komplett im Griff. In solchen Phasen zitterten seine Arme nicht nur, sie ruckten ins Leere, als würden unsichtbare Hände an ihnen reißen. Da auch Brustkorb und Kopf  wie mitgerissen agierten, geriet seine Aussprache völlig aus der Kontrolle. Oft konnte ich ihn nicht verstehen. Alle paar Wochen fuhr er in die Uniklinik Bochum. Gern stellte er sich seinem Professor als Versuchskaninchen zur Verfügung. Wenn es ihm persönlich auch nicht helfen würde, so seine Meinung, helfe es womöglich dem forschenden Arzt und dessen Studenten. Und vielleicht gebe es ja doch noch eine Linderung. Von dieser Hoffnung ließ er nie los. Wenn ich ihn fragte, wie es war, in der Klinik, sagte er: „Gut.“ „Inwiefern?“, wollte ich wissen. „Tja, wenn ich da so manch jüngere Patienten sehe, kapiere ich, dass ich keinen Grund zum Klagen habe.“ 

Diese Haltung machte mich sprachlos. Immer wieder. Manchmal hatte ich aber auch einen anderen Grund, nichts zu sagen. Das war in meiner journalistischen Anfangsphase. Wenn ich wieder mal glaubte, den Beruf verfehlt zu haben, brütete ich hinter verschlossener Tür überm weißen Manuskriptpapier. Ewald ließ mich nicht brüten. Er kam einfach rein, setzte sich neben mich und zwang mich mit durchschauendem Lächeln, die Zähne auseinanderzukriegen. Ich verriet ihm, was los war, mir blieb nichts anderes übrig. Er sagte dann nicht viel. Nur dies: „Ich sehe das ganz anders.“ Und damit gab er mir Hoffnung selbst in seinen zuckendsten Elendsphasen.

Noch einer, der in beeindruckender Weise die Hoffnung nie aufgab, war Stephen Hawking. Heute, am 8. Januar, wäre er 80 Jahre alt geworden. Mit 21 Jahren erfuhr er, dass er an einer unheilbaren Nervenkrankheit litt. Die Ärzte gaben ihm nur wenige Jahre Lebenszeit. Doch er wurde 76 Jahre alt und starb als einer der bedeutendsten Wissenschaftler aller Zeiten, der nie von seinen mathematischen und physikalischen Studien abließ. Er war davon überzeugt, dass man erst verloren ist, wenn man sich selbst aufgibt und sagte: „Wo Leben ist, ist Hoffnung, und wo Hoffnung ist, kann neues Leben entstehen.“

Beide, Stephen Hawking und auch mein Kollege, kannten dunkelste Phasen. Mit dem Wissenschaftler habe ich mich nie unterhalten, mit meinem Kollegen umso mehr. Manchmal frage ich mich, wie er zu so manch dunklen pandemischen Momenten stehen würde. Fragen kann ich ihn nicht, denn auch er ist vor ein paar Jahren gestorben, aber ich kann mir vorstellen, dass er sagen würde: In solch finsteren Phasen stecken Möglichkeiten, die es unter strahlendem Himmel gar nicht zu geben scheint. Und ich habe schon manchmal den Eindruck gehabt, dass solche Dunkelheit nur eine andere Art Licht ist. Eine, die uns gefehlt hat.

Bis kälteste Gedanken in mir tauen

Fühl manchmal mich 
wie schockgefrorn, 
wenn Worte eisig 
in mich stechen. 
Suche im Gesicht, 
das sie gebar,
den Menschen, 
den ich glaubt zu kennen, 
doch finde seine Fratze nur.
Schockgefrorn kann nur noch 
Rache in mir fließen,
bis kälteste Gedanken 
in mir taun.
Sehe sie 
im Schmelzwasser verrinnen
und erkenne 
im Spiegel seiner Wellen den, 
der gleichsam kalt sich zeigt,
dann, 
wenn er’s nicht wagt,
die Wärme, die er hat, 
zu geben.

Das Jahr geht müde schlafen

Nun ist’s soweit,
das Jahr geht müde schlafen, 
nimmt unerfüllte Träume 
in finstre Nächte mit, 
damit sie 
vom weihnachtlichen Licht geweckt 
als Hoffnungsstern erstrahlen, 
der durchs neue Jahr 
dich lenkt.

Waldgöttlich

Wie anders du doch bist,
du alter Baum, 
so anders als ich.
Weichst nie aus,
stehst waldgöttlich da,
wie einer,
der schon immer 
dort gewesen. 
Bist Souverän 
in deiner Welt, 
die meine atmen lässt.
Bist manchem im Weg, 
aber immer zur Stelle,
bist Konfrontation 
auf geradem Weg 
zum Ziel,
ein Wegweiser, 
der ohne ein Wort 
mir sagt, 
dass so manch Konfrontation, 
die ich meide, 
mehr Feigheit
als Großmut ist.