Bin dir so verbunden

„Ich bin dir so verbunden“, sagte die linke Tür zur rechten.
„Bist du dir sicher?“
„Klar, und wie.“
„Dann kannste mich ja auch loslassen.“
„Loslassen? Du hast wohl nicht alle Tassen im Schrank.“
„Kann sein, aber dann wäre auch ich mir sicher.“ ??

Du und der Himmel

„Boah, ist das hier schön“, sagte das schwarze Schaf zum weißen, „fast wie im Himmel.“ „Du nun wieder. Aber ist ja klar, dass du sowas sagst.“
„Wieso?“
„Weil du nur ans Fressen denkst.“
„Dir schmeckt es doch auch.“
„Aber Typen wie du fressen unsereins die schönsten Weiden leer.“
„Was für Typen?“
„Typen, die anders sind. Guck dich doch mal an.“
„Hast recht, wenn ich uns so anschaue, muss ich immer an den Himmel denken.“
„Bist du bekloppt?“
„Nein, überleg doch mal. Da ist Multikulti doch total normal.“ ?

Brauchte mal Abstand

„Und ich dachte immer, du brauchst Abstand.“
„Brauchte ich auch.“
„Wieso eigentlich?“
„Weil ich dann mehr sehe.“
„Und was haste gesehen, als du so weit weg warst?“
„Unsere Nähe.“
„Aha. – Und jetzt, wo du total nah bei mir bist?“
„Jetzt sehe ich noch Schöneres.“
„Was denn?“
„Dass ich groß bin. Mit dir bin ich gewachsen. Fühle mich schon richtig riesig.“
„Wie denn das?“
„Durch deine Nähe. Die gibt mir Abstand zu mir selbst. Und mit so ’nem Abstand sehe ich nicht nur mich. Ich sehe uns.“ ??

Undercover unterwegs

„Guck mal, da unten quetschen sich wieder unzählige Touris durchs Mittelschiff“, sagte das linke Kathedralfenster zum rechten. „Da ist echt der Teufel los.“
„Schade, dass man nie sagen kann, Gott sei los, sagte das rechte Fenster.“
„Kannste ja, wird dir von denen da unten aber kaum einer glauben, weil die meisten nix davon merken.“
„Wieso, meinste, der ist undercover unterwegs?“
„Kann man so sagen. Aber wenn du dir die Leute da unten mal ganz genau anschaust, wirste ihn erkennen. Er steckt drin. In ihnen.“ ?

Ein Rotkehlchenleben lang

Wenn mich jemand so richtig begeistert, kann ich es schlecht für mich behalten. Ich muss es ihm oder ihr sagen. Doch dann passiert leider nicht immer, was ich mir wünsche: Manche (Männer) sind so mit ihrer Scham beschäftigt, dass sie nicht mehr dazu kommen, sich einfach zu freuen. Andere tun so, als hätte ich etwas gesagt, das gar nicht sein kann. Und dann gibt es hin und wieder Exemplare (Frauen), die schauen mich an, als hätte ich ihnen gesagt, ein Vogel habe ihnen in die Frisur gekackt. Das Rotkehlchen ist da ganz anders. Häufig kommt es mir ganz nahe. Ich schaue es an, bin hin und weg, kann seine grazile Form fast spüren, liebe seine Farben, mit denen es meine Blicke streichelt. Diese kleine Schönheit kann bestens mit all meinen dahingemurmelten Komplimenten umgehen. Sie schluckt sie wie ein Schönheitselixier. Das ist ganz offensichtlich, finde ich. Dieses Wesen scheint mir dafür zu danken, indem es mich mit einer Schönheit beschenkt, die hält. Ein Rotkehlchenleben lang. ?

Ich zeige es allen

„Auf Typen wie dich kann man doch verzichten“, sagte die Windstille. „Du müsstest dich mal sehen, wie hohl du da herumhängst. Vor so einem kann keiner Achtung haben.“
„Aber alle beachten mich. So oder so,“ sagte der Windsack. „Ich freue ich mich schon auf den Wind. Wenn er mich mit seiner Kraft erfüllt, zeige ich allen, dass er gekommen ist. Und außerdem noch, wohin es ihn treibt. Und wenn ich schlaff herunterhänge, schaut mich auch jeder an, denn ich zeige allen, dass du da bist.“ ? 

Und dann knallten wir zusammen

Was habe ich dich verflucht. War unterwegs und hatte keine Ahnung wohin, plätscherte völlig planlos durch die Gegend. Dann kreuztest du vor mir auf, wir knallten zusammen. Ich hätte dich vor Wut sprengen können, sagte der Fluss zum Stein. Aber irgendwie ist bei dem Aufprall mein Verstand angesprungen. Der hat mir klar gesagt, wohin ich will. Okay, seitdem reibe ich mich Tag und Nacht an dir, aber das macht nichts. Ich tu’s ja mit Überzeugung, kann es sogar genießen, weil du mir Richtung gibst. ? 

Dann wirst du duften

„Na, du altes Haus, zeigst dich ja wieder mal verführerisch offen. Haste keine Angst, dass jeder in dein Inneres schaut?“
„Eigentlich nicht“, sagte das Haus zur Rose. „Aber sag mal, wie geht es dir denn heute, an diesem sonnigen Tag an meiner warmen Wand?“
„Ging schon mal besser“, sagte die Rose.
„Wieso?“
„Ach, alle latschen nur an mir vorbei und keiner schaut mich an.“
„Das lässt sich ändern“, sagte das Haus.
„Und wie?“
„Hör einfach auf, dicht zu machen. Öffne deine zarten Knospen und zeig etwas mehr von deiner inneren Schönheit.“
„Und dann?“
„Dann wirst du duften und der Welt die Augen öffnen.“ 

Am Abgrund

Ostfriesland, Deich

„Wo willste denn hin?“, riefen sie hinter ihr her.
„Nach vorne.“
„Und warum?“
„Weil ich sehe, dass das mein Weg ist.“
„Dein Weg? Quatsch, jeder geht doch seinen Weg.“
„Aber nicht seinen eigenen.“
„Dann guck mal nach rechts. Du stehst nämlich schon direkt am Abgrund.“
„Oh ja. Und die Aussicht ist grandios.“ ? 

Endlich mal hängen lassen

„Ich weiß wirklich nicht, wie man so an seiner Kuh hängen kann“, sagte die Mücke zum Schwanz.
„Das hat was mit Liebe zu tun“, sagte er, „aber davon hast du ja keine Ahnung. Du bist ja nur darauf aus, in alles reinzustechen, was Beine hat.“
„Mit Liebe? Wieso liebst du dieses Riesenviech?“
„Weil ich mich bei meiner Kuh nicht ständig aufrichten und abrackern muss. Bei ihr kann ich mich ruhig mal hängen lassen. Die lässt mich nie los.“ ??