Zu hoch

„Bei dir komme ich mir so nutzlos vor“, sagte das Toilettenhäuschen zum Berg. „Wieso?“
„Keiner kommt zu mir rein, keiner liest die Weisheiten, die an meinen Wänden stehen, und überhaupt, ich komme mir so schrecklich leer vor.“
„Fang bloß nicht an zu heulen“, sagte der Berg. „Ganz viele, die es zu dir zieht, werden durch dich klüger.“
„Durch mich?“
„Klar, durch dich kapieren sie, dass es Ziele gibt, die unerreichbar sind und deshalb nutzlos.“ ?

Nur wenn ich blau bin

„Ich beneide dich“, sagte die Brücke zum Himmel.
„Wieso?“
„Weil dich jeder liebt.“
„Übertreib nicht. Die meisten mögen mich nur, wenn ich blau bin.“
„Aber ich finde dich auch toll, wenn du mal nicht blau bist, denn grenzenlos biste immer. Und das finde ich himmlisch.“
„Na ja, ohne Grenzen zu sein, ist ja auch nicht nur gut. Sieht man doch bei dir auf der Erde. Manche halten das gar nicht aus. Die haben sich in ihrer Grenzenlosigkeit sogar total verrannt. Für die gibt’s nur noch einen Ausweg: ne Mauer.“
„Mauer als Ausweg? Ist doch beschränkt. Mauerbauer mag doch keiner.“
„Glaubst du.“
„Ja, glaube ich, denn jeder, der mich überquert, spricht gut über mich. War schon immer so.“ ?

Sie waren zu klein

Sie war der Hammer. Alles an ihr war beängstigend. Sie lag auf ihm wie Beton, drückte ihm die Luft ab. Er musste weg, stieß sie von sich, rannte barfüßig davon. Dann endlich Schuhe. Er nahm die erstbesten. Sie waren zu klein. Er schleppte sich weiter. Die Füße schmerzten. Jetzt zählten nur noch sie. Die Sorge, die soeben noch wie Beton auf ihm lag, war weg und vergessen. 

Das Schönste

„Zieh dich aus“, sagte der Sommer, „und dann gib mir dein Zeug. Du brauchst es nicht.“ „Was willst du damit?“
„Ich will es zeigen.“
„Wem denn?“
„Allen, die einen Blick dafür haben.“
„Blick für was?“
„Für das Geheimnisvolle. Es ist doch das Schönste, was wir erleben können.“

Masken fürs richtige Leben

„Hey, was machen wir hier eigentlich?“, sagte der Pinsel zur Hand.
„Siehste doch. Wir bereiten das Kind aufs richtige Leben vor.“
„Wie bitte? Du meinst wohl auf irgend ’ne Rolle.“
„Sag ich doch.“
„Kapier ich nicht. Schminke und Verkleidung haben doch nichts mit dem richtigen Leben zu tun.“
„Klar doch. Sag mir nicht, du hättest schon mal einen gesehen, der sich in jeder Lebenssituation treu ist und nie ’ne Rolle spielt.“
„Doch, garantiert.“
„Okay, aber dann hast du ihn ganz sicher für weltfremd oder geisteskrank gehalten.“ ??

Verzieh dich!

„Wenn du dich nicht auf der Stelle verziehst, kriegstes mit meiner Zunge zu tun“, sagte die Kuh zur Fliege.
„Glaub ich nicht“, sagte die Fliege. „Die und ich, wir kennen uns doch schon ewig.“
„Eben drum. Dann kannste dir ja vorstellen, was dir blüht.“
„Hör mal zu, du Kuh, deine Zunge und ich, wir sind Feinde. Und was kluge Feinde sind, die machen immer hübsch ’nen Bogen um den andern. Freunde kriegen so viel Toleranz nur schwer gebacken.“ ?

Einer holt euch da runter

„Glaubt nicht, dass ihr da ewig herumflattern könnt“, sagten die Schmetterlinge im Bauch zu den Tüchern an der Leine. „Irgendwann holt euch da einer runter. Da hat’s unsereins besser: Selbst wenn wir uns längst verzogen haben, flattern wir in den Erinnerungen immer weiter und weiter.“ ?

Eiserne Feuersangst

„Du bist mir nicht ganz geheuer“, sagte das Eisen zur Glut.
„Wieso denn das?“
„Bei dir werde ich ganz weich. Ich spür’s schon. Und schließlich verbiegst du mich noch.“
„Na und? Es gibt doch wirklich Schlimmeres.“
„Ich wüsste nicht was.“
„Zum Beispiel Typen, die alles kalt lässt.“

Schattengesellschaft

„Was sind das für Leute, die da bei dir im Schatten stehen?“, fragte die Sonne den Sonnenschirm.
„Das sind die, für die es auf der Sonnenseite nicht weiter ging.“
„Auf die Dauer wird es denen bei dir aber zu kühl und zu dunkel.“
„Theoretisch ja, praktisch nein. Hier gehen ihnen nämlich ein paar wärmende Lichter auf.“
„Wie das?“
„Bei mir entdecken Sie ihre Freunde.“
„Und wer sind die?“
„Die, die auch im Schatten bei ihnen bleiben.“ ?